23 - Europa erlebt eine neue Völkerwanderung. Oder doch nicht? [ID:6677]
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Ich danke für die freundliche Einführung und für die Einladung hierher nach Erlangen.

Komme immer sehr gerne in die Erlangener Altstadt und in den Schlosspark hier.

Die Einfeuerung war ausgezeichnet geeignet, um sie ins Thema einzuführen.

Die Rede war vom starken Bild, eine das römische Reich in wegfegenden Völkerwanderung,

das uns sehr vertraut erscheint.

Das haben nicht zuletzt mehrere über die bereits zitierten Beiträge hinaus erschienene Artikel

in namhaften deutschsprachigen Blättern gezeigt.

So meinte etwa Alexander Demandt, emeritierter Ordinarius für alte Geschichte,

der FU Berlin zu Beginn dieses Kalenderjahres in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung,

das Römerreich sei fremdenfreundlich gewesen.

Man habe Einwanderung akzeptiert, regelrecht gefördert und letztlich sei man daran gescheitert.

Fremde Barbaren seien in Massen eingedrungen, die römische Hochkultur sei zerstört worden,

ein tiefer Kulturbruch sei die Folge gewesen.

Bewaffnete, unzivilisierte Horden aus dem Norden übernahmen die Macht, das dunkle Mittelalter hebt an,

das kulturtragende Bürgertum, so Demandt, sei beseitigt worden.

Ähnliches wird unvorholen impliziert, drohe nun Deutschland und Europa.

Einige Monate zuvor hatte Alexander Demandt der Welt ein Interview gegeben.

In diesem zitierte Demandt den Philosophen Oswald Spengler, der 1936 verstorben ist.

Zitat. Demandt zitiert.

Schon Oswald Spengler hat 1931 erklärt, das große Problem der Zukunft werde nicht der Ostwest,

sondern der Nord-Süd-Konflikt sein.

Er sprach von der farbigen Weltrevolution oder auch von der farbigen Front.

Spengler glaubte, man müsse mit der Bedrohung durch die armen Völker auch militärisch rechnen.

Das war ein Irrtum.

Heute sehen wir, die Tatsache, dass die Flüchtlinge unbewaffnet kommen, macht das Ganze viel schwieriger.

Zitat Demandt aus der Weltende.

Oswald Spengler hatte in seinem Hauptwerk, Der Untergang des Abendlandes,

das von 1918 bis 1922 geschrieben wurde, eine fortschrittsorientierte Geschichtsschreibung kritisiert

und dagegen eine Zyklentheorie vorgeschlagen.

Kulturen entstehen immer wieder von Neuem, haben eine Blütezeit und gehen nach einem Jahrtausend unter.

Spenglers Weltsicht hatte autoritäre und antidemokratische Züge.

Der europäische Kultur sei dem Untergang nahe die kräftigen Völker des Südens

und die Bolschewicken des Ostens würden ihr den Todesstoß bringen.

Man lebe, so Spengler, im Zeitalter der Vernichtungskriege.

Eine Kulturmorphologie, also eine Lehre vom Werden und Vergehen der Zivilisationen,

operierte mit biologischen Metaphern, Saakulturen also als organische Gebilde, die eben leben und sterben.

Geburtreife, Blüte und Verwesung zeigen diese Kulturen.

Theodor Adorno meinte, Zitat, die spenglische Begriffswahl springe mit Kulturen um wie mit bunten Steinen.

Am Ende geht die Rechnung auf. Alles ist eingeordnet und liquidiert. Zitat Ende.

Spengler war bis in die 1950er Jahre äußerst populär.

Er beeinflusste etwa den berühmten britischen Historiker Arnold Toynbee, Egon Friedel, Gottfried Benn

und auch die ethnologische Forschung, den jungen Claude Lévi-Strauss.

In den letzten Jahren, also in unseren letzten Jahren, wird Spengler offenbar wiederentdeckt.

Die Hintergründe für Spenglers Ansichten und andere ähnliche Zugänge liegen im 18. und 19. Jahrhundert.

Lassen Sie mich diese Hintergründe mit einem Bizyklus aus den 1830er Jahren

und den berühmten Aufstieg und Fall des römischen Reiches von Edward Gibb aus dem späten 18. Jahrhundert illustrieren.

The Corso Vampire, zu Deutsch der Weg des Imperiums, ist ein 1836 fertiggestellter 5-teiliger Gemäldezyklus

des US-amerikanischen Landschaftmalers Thomas Cole, der 1848 verstorben ist.

Cole bietet ein klares dramatisches Narrativ.

Die fünf Gemälde schildern in leicht unterschiedlichen Landschaftsausschnitten.

Teil einer Videoserie :

Presenters

PD Dr. Roland Steinacher PD Dr. Roland Steinacher

Zugänglich über

Offener Zugang

Dauer

00:52:22 Min

Aufnahmedatum

2016-07-18

Hochgeladen am

2020-03-20 14:08:36

Sprache

de-DE

Warum die Flüchtlinge, die derzeit nach Europa kommen, keine neue Völkerwanderung darstellen? Weil bereits die Völkerwanderung vor über 1500 Jahren alles andere als das war. Weder in der Spätantike noch im frühen Mittelalter gab es eine Vorstellung von einem „Wandern der Völker“. Erst im frühen 16. Jahrhundert entstanden das zugrunde liegende Geschichtsbild sowie die Begriffe „migratio gentium“ und später „Völkerwanderung“. PD Dr. Roland Steinacher erklärt, was die Basis für diese Entwicklung in Antike und Mittelalter bildete. Warum traten an die Stelle des römischen Reiches im frühen Mittelalter ethnisch definierte Staatsgebilde wie das vandalische Afrika oder das fränkische Gallien? Und wie bewältigten die Menschen damals die geistige Spannung zwischen einem universalen Christentum, der Selbstdefinition als Römer und einer spezifischen ethnischen Identität?

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